Victor Petersen verzaubert mit seinem Solo-Programm
Am Montag dieser Woche präsentierte Victor Petersen, vielen besser bekannt als Professor Abronsius aus TANZ DER VAMPIRE, sein Solo-Programm EINE FRAU SCHAU im Stuttgarter Renitenz-Theater. Wir wollten sehen, was es mit dem Titel auf sich hat und welche Facetten der Darsteller neben dem greisen Professor noch zu bieten hat.
Minimalismus und große Stimme
EINE FRAU SCHAU. Je nach Betonung bekommt die Wortfolge eine andere Bedeutung und regt dazu an, darüber nachzudenken, was wohl damit gemeint ist. Das passt zu dem, was den Zuschauer an diesem Abend erwartet. Wer bei Victor Petersen auf eines der gängigen Solo-Konzerte spekuliert hat, musste umdenken. Musical-Songs gab es zwar auch zu hören, aber eher die weniger Bekannten. Und die noch dazu zum Teil in ganz neuem Gewand bzw. mit geänderten Texten. EINE FRAU SCHAU hat eine Rahmenhandlung und basiert auf dem KUSS DER SPINNENFRAU. Luis Alberto Molina sitzt wegen Unzucht mit Minderjährigen in einer Zelle. Er erzählt seinem Mitgefangenen Valentin Arregui aus seinem Leben und aus alten Filmen, um sich und ihm die Zeit zu vertreiben.
Aus Wenig Viel gemacht
Da es sich um ein Ein-Personen-Stück handelt, ist der Mitgefangene Valentin nie zu sehen. Genial gelöst wird dies, in dem Luis sein männliches Ich im Spiegel sieht und zu ihm spricht. Beeindruckend mit welch kargen Mitteln man so viel erzählen kann. Außer dem Spiegel gibt es nur einen Stuhl, ein Bettlaken und eine Perlenkette, die als Requisiten dienen. Alles ist in Grau gehalten, selbst Kleidung, Haare und Gesicht des Darstellers. Effekte entstehen nur durch Licht. Regisseur Timo Radünz, ist neben Bühne und Kostüme auch dafür verantwortlich. Er hat es geschafft, einen kleinen, intimen Raum zu kreieren, in dem mit wenigen Handgriffen und minimalistischsten Hilfsmitteln die ganze große Traumwelt Molinas entstehen kann. So wird das Bettlaken wahlweise zur Jacke, in Kombination mit dem Stuhl zur großen Robe und die Perlenkette zum Symbol für das Frau Sein.
Zuschauer wird zum Voyeur
Der Zuschauer wird in dieser abgeschlossenen Welt zum Voyeur. Er fühlt sich wie der Lauscher an der Wand, wenn er Luis zuhört, wie dieser aus seiner Kindheit erzählt, von seinen ersten homoerotischen Erlebnissen, von seiner Zerrissenheit und seiner Einsamkeit. Von der ersten Sekunde an ist man gefesselt, leidet mit ihm, lacht mit ihm. Und windet sich mit ihm, wenn er – aufgefordert vom Gefängnisdirektor (als Stimme aus dem Off) – versucht sich zwischen Verrat an Valentin und der dafür in Aussicht gestellten eigenen Freiheit zu entscheiden.
Raffinierter Kunstgriff bietet Rahmen für Vielfalt
Der gewählte Rahmen aber dient Victor Petersen vor allem als Kunstgriff um sowohl Stücke für Männer- als auch für Frauenstimme integrieren zu können. Wenn er erzählt, tut er das mit seiner normalen Stimme. Wenn er dabei singt, nutzt er seine ausgebildete Stimme als Musical-Tenor. Immer wieder aber schlüpft er in die Rolle der weiblichen Filmstars aus seinen Erzählungen und singt dann mit unfassbarer Höhe und Brillanz in Frauenlage. Der studierte Countenor kann dabei – im wahrsten Sinne – alle Register ziehen. Die Grenzen verschwimmen und Luis wird immer mehr zu Leni, der Frau aus den Filmen. Dabei ist er mal wütend, mal frustiert, zerbrechlich, kämpferisch, mal frivol oder lustig. Diese Stimmungen drücken sich auch in den ausgewählten Songs aus. Vom getragenen „Summertime“ aus PORGY AND BESS über das schmachtende „Not a day goes by“ aus MERRILY WE ROLL ALONG bis zu der schwungvollen Arie „Il Bacio“ von Luigi Arditi oder dem sehnsuchtsvollen „L’Invitation au voyage“ von Henry Duparc ist alles dabei.
Mann gegen Frau statt Jekyll gegen Hyde
Mit so unterschiedlichen Stücken wie „I don‘t care much“ aus CABARET und der „Habanera“ aus CARMEN zeigt Victor Petersen eine unglaubliche Bandbreite, die sicher nur wenige Darsteller abdecken können. Dazwischen finden sich immer wieder Stücke, die uns helfen Luis besser zu verstehen. Die „Konfrontation“ aus JEKYLL & HYDE wird hier zu einem emotionalen Kampf zwischen dem männlichen und dem weiblichen Teil Molinas. Ausgefochten in Männer- und Frauenstimmlage. Der Text dazu stammt, wie auch die anderen angepassten Texte, von Timo Radünz. Sehr bewegend auch das desillusionierte „Märchenfilm vom Glück“ aus MISS SAIGON oder das Bekenntnis „Vielleicht mag ich es so“ aus WILD PARTY.
Victor Petersen berührt auch ohne Stimme
Einer der emotionalsten Momente ist aber ein ganz Stiller. Ohne Stimme, nur in Gebärdensprache, „singt“ Victor Petersen das französische Chanson „Je suis malade“ und überlässt so seiner Pianistin Oresta Cybriwsky für dieses Stück die musikalische Bühne. Ein echter, wundervoll choreografierter Gänsehautmoment.
Nach einem beeindruckenden „Cara Sposa“ aus der Händel-Oper Rinaldo stirbt Luis Alberto Molina. Glücklich darüber, dass Valentin endlich auf sein Flehen reagiert und ihn für eine einzige Nacht erhört hat.
Es war ein Abend, der nicht in die Kategorie „Popcorn-Kino“ fällt, sondern der einen nachdenklich und ergriffen, aber doch restlos begeistert zurücklässt. Victor Petersen hat mit diesem Auftritt dem Titel seines Programms definitiv eine weitere Interpretationsmöglichkeit hinzugefügt: EINE FRAU? SCHAU!
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Danke für diesen tollen Bericht! Ich war am Montag dabei und hatte eben beim Lesen des Artikels nochmal richtig Gänsehaut!