Was ist ein Musical?

In diesem Artikel findet ihr Antworten auf die Fragen, was ein Musical ist, wie diese Sparte entstand und wie es sich von den anderen Sparten des Musiktheaters abgrenzt. Auf den Punkt gebracht mit vielen interessanten Infos, sowohl für Neulinge, als auch langjährige Musicalfans.

Glöckner Quasimodo Glocken
Glöckner Quasimodo Glocken Foto: Johan Persson ©Disney

Die moderne Form des Musiktheaters

Sucht man im Internet nach einer Antwort, was Musical ist, findet man Erklärungen wie die Folgenden:

Das Musical [ˈmju:zikəl ] ist eine in der Regel zweiaktige Form populären Musiktheaters, die Gesang, Tanz, Schauspiel und Musik in einem durchgängigen Handlungsrahmen verbindet. – Wikipedia

In der englischsprachigen Theaterwelt gibt es die Begriffe “Musical Drama”, “Musical Comedy” oder “Musical Play”. Damit sind die drei Darstellungsformen Drama, Komödie und Schauspiel gemeint, die jedoch um die wichtige Komponente Musik ergänzt wurden. – Planet Wissen

Es gibt noch zahlreiche weitere Definitionen, doch die Kernaussage ist, dass es eine moderne Form des Musiktheaters ist. Doch ab wann beginnt “modern”? Und sind alle Musiktheaterstücke, die jetzt komponiert werden, automatisch Musicals? Wo ist der Unterschied zu den anderen Musiktheater-Formen? Diese Fragen werden hier kurz geklärt und wir werden viele interessante Informationen liefern, nicht nur für Neueinsteiger in dieses Genre, sondern auch für eingefleischte Fans, die gern mehr über dieses spannende Thema wissen wollen.

Die Geschichte des Musicaltheaters

Um zu verstehen, was Musicals sind und wie sie sich von Oper, Operette und kabarettistischem Singspiel – die drei anderen großen Vertreter des Musiktheaters – unterscheiden, muss man sich die Geschichte des Musiktheaters anschauen.
Die ersten Theaterstücke wurden bereits in der Antike aufgeführt, doch waren es bis dahin Sprechtheater – lediglich eine Untermalung mit Musik fand statt. Eher selten kamen Chöre zum Einsatz. Der Vorläufer des Musiktheaters entstand im Hochmittelalter, als christliche Themen wie die Passionsgeschichte sängerisch erzählt wurden, jedoch ohne den Faktor des unterhaltenden Schauspiels. Erst im 15. Jahrhundert, im Zeitalter der Renaissance, entstand zur Karnevalszeit eine Verbindung von Musik und Theater, wenngleich es damals anfangs Possenspiele waren, doch ihren Ursprung hatte es in Italien. Im 16. Jahrhundert, genauer 1581, wurde in Frankreich das Ballet comique de la reine aufgeführt, das eine getanzte und gesungene Handlung präsentierte und als Wegbereiter der Oper gilt.  1585 folgte Orpheus und Amphion, als ein Stück anlässlich einer Hochzeit, in Deutschland dem Vorbild Frankreichs.

Vom Possenspiel zur Oper

Die Oper, wie wir sie heute kennen, entstand Ende des 16. Jahrhunderts in Florenz. Ein Künstlerkreis versuchte das antike Drama wiederzubeleben, in dem ihrer Meinung nach Solisten, Chor und Orchester beteiligt waren. Für das Libretto wurde die Schäfer- oder auch Hirtendichtung ausgewählt, die sich durch kunstvolle Verse kennzeichnet und oft die Werbung eines Mannes um eine eher abweisende Geliebte behandelt. Als Musikvorlage dienten die Hymnen des Mesomedes. Textverständlichkeit war sehr wichtig, weshalb die musikalische Begleitung eher klein gehalten wurde. Die erste Oper war La Dafne von Jacob Peri 1597. Es folgte Euridice im Jahr 1600  und eine zweite Oper mit dem Titel Euridice 1602. Die Handlungen lehnten sich anfangs oft an die Antike an, wenige Jahre später komponierte Monteverdi Opern mit größeren Orchestern und Arien. 1637 eröffnet in Venedig das erste Opernhaus. 1627 wurde die erste Oper von einem deutschen Komponisten namens Heinrich Schütz mit dem Namen Dafne komponiert, die erste deutschsprachige Oper Das geistlich Waldgedicht oder Freudenspiel, genannt Seelewig wurde 1644 komponiert.

Mitte des 19. Jahrhunderts entstand die Operette

Lange Zeit war die Oper die einzige Musikform, wenngleich sie sich in mehrere Untergattungen aufgesplittet hatte. Aus einer Form entwickelte sich 1848 in Paris die erste Operette, wenngleich sie damals noch als Oper galt. Sie zeichnete sich durch eher kurze Dauer und grotesk-frivolem Inhalt aus. Eine der ersten und bekanntesten Operetten war Don Quichotte et Sancho Pança von Hervé, was der Künstlername Florimond Rongers war. Berühmt für dieses Genre war  Jaques Offenbach, der 1855 ein Theater nur für diese Form des Musiktheaters eröffnete und selbst zahlreiche Operetten schrieb. Dies waren jedoch teils eher Schauspiele mit Musik. Diese Form des Musiktheaters erschloss sich mit dem Bürgertum eine neue Publikumsschicht, denn die Opern waren das Privileg der Oberschicht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann man mit Operetten seriöse Themen zu verarbeiten, wie Der Bettelstudent von 1882 oder Gasparone im Jahr 1884 zeigt. Nach und nach wurde die Operette vom Singspiel abgelöst, wobei die Abgrenzung schwierig ist, da es sich nur wenig von der Operette unterscheidet. Bezeichnend ist die Kürze, mehrere, teils wenig zusammenhängende Szenen und ein gesellschafts- und politisch-kritischer Inhalt, meist verbunden mit Satire und Polemik.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Musical geboren

Als erstes Musical gilt das 1866 produzierte Spektakel THE BLACK CROOK. Als Geburtsstätte diente das Theaterviertel am Broadway, wo viele verschiedene Kulturen aufeinander treffen und so verschiedenste Einflüsse auf das Musical hatten. So finden sich verschiedenste Musikformen wie Jazz oder Swing darin wieder, französische Revuen, das Flair der Wild West-Shows. In dieser Zeit entwickelten sich völlig neue Gesangstechniken. Bühnentechnik, Bühnenbilder und Kostüme bekamen eine größere Bedeutung. SHOW BOAT von Jerome Kerns, das 1927 seine Uraufführung hatte, galt als erstes “ernstes” Musical, wie wir es heute kennen, in der sich die Lieder aus der Handlung ergeben, ohne dass die Handlung unterbrochen wurde. Zudem floss Sozialkritik ein, die in vielen Musicals in der ein oder anderen Art zu finden ist. 1957 legte die WEST SIDE STORY den Grundstein zur Entfernung von älteren Klassikern und erschuf einen neuen Stil.

Abgrenzung zu anderen Formen des Musiktheaters

Aus der Geschichte werden einige Unterschiede deutlich, die hier noch einmal zusammengefasst werden.
Das erste ist die Entstehungszeit. Musicals sind Musikstücke mit den musicaltypischen Eigenschaften, die ab Mitte des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Musicaltypische Eigenschaften sind zum Beispiel die Vielfalt unterschiedlicher Musikstile, die sich vor allem von Oper und Operette abgrenzt. So sind klassische Arien in Musicals eher selten vertreten und auch die Gesangstechnik ist meist eine andere. Sie ist mehr an den Popgesang, statt den klassischen Gesang angelehnt und zeichnet sich zum Beispiel durch die Technik des Belting (das lange halten von Tönen mit einem eher schmetternden Klang, typisch für die Pop- und Rockszene) aus. Des Weiteren werden oft sozialkritische Inhalte eingeflochten. Die Handlung stützt sich oft auf Literatur- Film- oder biografische Vorlagen. Des weiteren bindet sich die Musik oft vergleichsweise nahtlos in die Handlung ein ohne sie zu unterbrechen. Oft werden Lieder mit einem gesprochenen Text eingeleitet, während bei den anderen Genres häufig eine klare Trennung von Text und Lied vorliegt. Im Musical liegt zudem, ähnlich der Operette, eine Mischung aus Schauspiel- und Gesangsszenen vor, während die Oper durchgängig gesungen wird. Gern werden auch Erzählerrollen oder kommentierende Parts eingeführt, die durch das Stück führen, manchmal außenstehende Personen, manchmal die handelnden Personen selbst.

Das alles ist natürlich nicht immer genau anwendbar und oft verschwimmen die Grenzen, gerade in Musicals der Anfangszeit dieser Sparte ist das der Fall, da die Bildung eines solchen Zweiges ein Prozess ist.

Sonderformen: Das Jukebox-Musical

Ab Ende der 80er Jahre kam ein neuer Trend in der Musicalwelt auf: Das Jukebox-Musical. Diese definierten Musicals noch einmal neu. Statt eigener Songs greifen Jukebox-Musicals bekannte Lieder aus der Pop-Musik auf und betten sie in die Musicalhandlung ein. Beim Musical MAMMA MIA! wurde beispielsweise eine Handlung rund um Songs der Pop-Band ABBA konstruiert. Ebenso beliebt sind Handlungen, die sich mit dem Leben der Person (Sänger*in, Komponist*in, …) beschäftigen und die Lieder so auf die Bühne bringen wie beispielsweise bei TINA – DAS MUSICAL. Gerade diese Technik des Jukebox-Musicals wurde von der Filmindustrie übernommen. Dort wurden gerade in den letzten Jahren vermehrt Filme wie Rocket Man oder Bohemian Rhapsody produziert, die das Leben und die Musik eng miteinander verknüpfen.

Vom Film auf die Bühne

Ein weiterer jüngerer Trend in der Musicalwelt sind die Inszenierungen von erfolgreichen Filmen als eigene Musicalversion. Besonders Stoffe der Disney-Filme wurden in den letzten Jahren erfolgreich vom Medium Film für die Bühne verändert wie beispielsweise DER KÖNIG DER LÖWEN oder DIE EISKÖNIGIN. Da in den Filmen bereits Musik eine große Rolle spielt, ist der Sprung von dort auf die Musicalbühne nicht ganz so groß wie bei einem Film ohne Musik. Dennoch müssen einige Handlungsstränge gestrafft und Charaktere für die Bühne neu gedacht werden. Denn die Frage „Was ist ein Musical?“ bezieht sich auch immer auf die Möglichkeiten der Bühne. So lassen sich in einigen Häusern technische Anforderungen perfekt umsetzen und auf anderen Bühnen braucht es andere Inszenierungswege.

Auch die Frage nach den Kostümen ist bei Musicalinszenierungen, die aus einem Film heraus entstehen wichtig. Schließlich handelt es sich bei den Charakteren oft um Figuren, die dem Publikum bereits sehr vertraut sind. Was braucht es also, damit diese Vertrautheit erhalten bleibt und die Person möglicherweise noch eine neue Facette bekommt? Gerade bei in der Filmvorlage gezeichneten Figuren stellen diese Fragen das Kreativteam vor große Herausforderungen. Doch kreative Lösungen wie bei der Kult-Inszenierung von DER KÖNIG DER LÖWEN zeigen die eigene Magie der Bühne.

HAMILTON – Das Musical geht neue Wege

Der Frage „Was ist ein Musical“ schmettert Lin-Manuel Miranda mit seinem Musicalerfolg HAMILTON eine neue Antwort entgegen. Denn hier ist es keineswegs Pop-Musik, die den Stil prägt, sondern Hip-Hop und R&B und sogar Jazz. Eine weitere Neuerung war hier weniger musikalisch, sondern bei den Darstellern des Musicals. Bewusst wurden Darsteller gecastet, die als people of color nicht den „weißen Gründervätern“ der USA entsprachen. Anders als in den meisten anderen Musicalinszenierungen sind beim Broadway-Hit der Großteil des Teams „people of color“. Das brachte dem Musical sowohl Lob als auch Kritik ein. In jedem Fall lotet HAMILTON die Definition des Musicals noch einmal neu aus und bietet neue Aspekte, die es zu entdecken gibt.

Das Musical bleibt ein Wandlungskünstler, das sein Publikum mit einer packenden Geschichte und mitreißender Musik in eine magische Welt entführt. Die Geschichten sind hier manches Mal seichtere Unterhaltung, die einfach Lebensfreude verbreiten, und ein anderes Mal gibt es eine tiefere Botschaft, die den Besucher lange begleitet. Gerade die Vielfalt der Musicalwelt und ihr beständiger Wandel macht den Zuschauern Lust auf immer mehr.

Autor: A. Polifka