Wie entsteht ein Musical?

Musicals faszinieren ihre Zuschauer mit bunten Kostümen, mit einem aufwendigen Bühnenbild, mit tollen Choreografien und eingängigen Songs. Bis eine Show auf die Bühne kommt, ist viel Vorarbeit zu leisten. Was hinter den Kulissen geschieht, bekommen die meisten Musical-Fans gar nicht mit. Wie entstehen die also die Shows, die ihr Publikum immer wieder aufs Neue begeistern?

Chicago finale Castingrunde
Chicago finale Castingrunde © Stage Entertainment/Morris Mac Matzen

Von der Idee zum Musical

Wie bei jeder kreativen Arbeit steht auch am Anfang des Musicals zunächst einmal die Idee. Zur Inspiration können einem Autoren oder einem Komponisten vollkommen unterschiedliche Dinge dienen: Er kann eine ganz originäre, eigene Idee umsetzen wollen. Vielleicht ist es aber auch die Geschichte eines Buches, die ihn begeistert hat, oder ein sehr bekanntes Volksmärchen. Häufig entstehen Musicals auch aus Filmen heraus; die Idee stammt in diesem Falle zumeist von der Produktionsfirma, Songs und Charaktere des Musicals stehen bei filmbasierten Bühnenshows meist schon fest.

Musicals können nun auf sehr unterschiedliche Arten und Weisen entstehen: Ein Autor oder ein Komponist können eine Idee haben, sich einen entsprechenden Partner für die Umsetzung und anschließend einen Produzenten für die Bühnenproduktion suchen. Eine andere Möglichkeit ist, dass ein Produzent bzw. eine Produktionsfirma die Inszenierung eines Musicals plant und sich an Autoren, Komponisten und Regisseure wendet, um eine entsprechende Geschichte zu erarbeiten.

Die nächsten Arbeitsschritte richten sich danach, ob es sich um die Adaption eines bereits bestehenden Stoffes handelt oder um die Umsetzung einer eigenen Geschichte. Soll ein Musical aus einem bereits bestehenden Stoff erarbeitet werden, müssen die Autoren sich zunächst die Rechte sichern. Geben die Rechteinhaber ihr Okay, kann die kreative Arbeit beginnen: Ein Musical braucht eine spannende und bewegende Story, sympathische Protagonisten, denen das Publikum auf ihrem Weg folgen möchte, und Antagonisten, die „Bösewichter“. Die Autoren müssen die Motive der einzelnen Figuren herausarbeiten, sie charakterisieren. Beim Musical erzählen natürlich auch Musik und Tanzszenen die Geschichte und stellen die Charaktere und ihre Beweggründe vor. Autor und Komponist arbeiten daher eng zusammen. Bis aus der ersten Idee tatsächlich ein fertig geschriebenes und komponiertes Musical wird, kann es manchmal Jahre dauern.

Besonderheiten bei der Adaption eines Stoffes

Wer sich fragt „Wie entsteht ein Musical“ wird oftmals bei Adaptionen landen. Beim notwendigen Umschreiben eines bekannten Stoffes für die Musicalbühne steht ein kreatives Ausprobieren am Beginn. Denn auch wenn die Geschichte bereits im Film oder im Buch funktioniert hat – jedes Medium hat seine eigenen Gesetze. Die Spannungsbögen müssen sitzen und die Anforderungen sich technisch auf einer Bühne umsetzen lassen. Was sich im Film oder im Buch mit einem Schnitt lösen lässt, stellt einen Bühnenautor vor echte Herausforderungen. All das fordert die Kreativität des Autors. Zudem möchte jeder Autor auch bei einer Auftragsarbeit eine eigene Geschichte in der Geschichte erzählen. Bei einer Adaption kann das Kreativteam jedoch auch auf die kritischen Stimmen schauen – was hat bisher bei der Geschichte nicht so gut funktioniert und lässt sich vielleicht anders lösen? Wer hier gut auf bestehende Rückmeldungen und Schwachstellen schaut, spart sich am Ende einige Änderungen nach den Tryouts.

Was braucht ein Musical?

Zu einem Musical gehören zwangsläufig Musik und Gesang. Auch Ensemble- und Tanzszenen gehören zum klassischen Musical dazu. Wer ein bekanntes Buch adaptiert oder einen Film, findet dort selten bereits die entsprechenden Szenen vor. Um ein Musical entstehen zu lassen, wird der Stoff auf die passenden Stellen hin „untersucht“.

  • Welche Themen lassen sich durch Musik besonders betonen?
  • Welche Charaktere sollten ein Lied bekommen?
  • Wo lässt sich mit Wiederholungen in den musikalischen Themes spielen?
  • An welchen Stellen bieten sich klassische Ensembleszenen an?

Wenn die Filme bereits Musik enthalten, wird hier überlegt, ob all das zum Musical passt oder Anpassungen notwendig sind. Wie wichtig diese Veränderungen sind, um dem Musical ein eigenes Leben zu geben, zeigt sich an der Geschichte von DER KÖNIG DER LÖWEN. Natürlich erkennen Zuschauer im Musical die Geschichte aus dem gleichnamigen Disney-Film wieder. Aber abgesehen davon, ist das Musical eine sehr eigenständige Produktion geworden.

Immer aktuell erzählen

Bei älteren Vorlagen ist ein kritischer Blick notwendig, ob Anpassungen einzelner Figuren oder Erzählstränge an die aktuelle Zeit notwendig sind. Manche Formulierungen oder Charakterzüge funktionieren nicht mehr und brauchen – um Irritationen zu vermeiden – eine Aktualisierung. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Denn auf der einen Seite haben Zuschauer eine gewisse Erwartungshaltung, wenn es sich um einen bekannten Stoff handelt. Auf der anderen Seite müssen Stoffe immer in die Zeit passen, in der sie aufgeführt werden. Selbst wenn es sich um historische Stoffe handelt, die auch in ihrer Handlung fest in der Vergangenheit verankert sind. Die Sehgewohnheiten des Publikums spielen trotz dessen bei der Entwicklung des Stoffes für eine Inszenierung eine Rolle.

Eine Inszenierung ganz ohne Frauenfigur – was lange normal auf der Bühne war, würde heute vermutlich kritisch angemerkt werden. Das Verhalten der Charaktere und ihre Aussagen sollten insbesondere bei den Lieblingen an die aktuellen Vorstellungen angepasst werden. Auch ein Spiel mit gewollten Brüchen ist möglich und kann einer Inszenierung besondere Spannung schenken. Das ist zu diesem Zeitpunkt ein Versuch, dessen Erfolg sich anhand der Tryouts absichern lässt.

Aussagen treffen

In kaum einem Land wird so stark zwischen der einfachen und der anspruchsvollen Unterhaltung unterschieden wie in Deutschland. Ein Bühnenautor möchte jedoch auch mit „einfacher“ Unterhaltung den Zuschauer berühren und ihm eine Botschaft für das Leben mitgeben. Die Geschichte von DIE EISKÖNIGIN ist so beispielsweise nicht nur eine fantastische Geschichte. Hier wird bei aller Magie auch die Frage aufgeworfen nach Andersartigkeit und wie Menschen mit ihren Fähigkeiten verantwortungsbewusst umgehen können. Zudem gibt es bei dieser Geschichte die Ebene der beiden Schwestern, die sich gegenseitig zugetan sind. Während bei vielen älteren Geschichten ein starkes Gewicht auf den Liebesgeschichten gewesen ist, findet hier in den letzten Jahren eine Verschiebung statt. Die Geschichten handeln eher von Selbstbestimmtheit und der Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben als von der einen romantischen Liebe.

Ein Teamprozess

Auch wenn es zu diesem Zeitpunkt selten ein großes Team gibt, sind bereits diese Anfänge beim Schreiben eines Musicals eine Team-Arbeit. Viele Autoren arbeiten eng mit einem Librettisten zusammen. Wer sich jahrelang kennt, versteht oft die Intentionen voneinander schneller und der Ton des Musicals findet sich rascher zusammen. Je nach Reihenfolge gibt es in diesem kreativen Prozess bereits einen Regisseur, der eine eigene Vision von dem Musical hat, oder einen Produzenten im Hintergrund und manches Mal bereits einen Musicalstar für eine konkrete Rolle. All diese Menschen wirken bereits zu diesem Zeitpunkt an der Entwicklung des Stoffes mit, damit ein überzeugendes Musical entsteht.

Die Finanzierung

Natürlich steckt in einem Musical viel Kreativität. Soll es professionell aufgeführt werden, muss aber auch die Finanzierung stehen. Erfahrene Autoren können bereits die Kosten für konkrete Szenen relativ gut einschätzen. So wird ein Stück mit vielen aufwändigen Ensembleszenen teurer als ein Stück mit reduzierter Personenanzahl. Ein früher Austausch unter den unterschiedlichen Kreativwirkenden verhindert ein späteres Umschreiben der Szenen und spart damit Kosten. Dennoch: Bühnenbild und Kostüme kosten Geld, Darsteller wollen bezahlt werden. Der Punkt der Finanzierung ist vor allem für freie Musical-Macher, die ohne große Produktionsfirma oder Stadttheater im Rücken arbeiten, kritisch, da sie zunächst einmal das Startkapital zusammenbekommen müssen. Um neue Musical-Stoffe wie zum Beispiel BURNOUT zu realisieren, haben die Macher auf die Möglichkeit des Crowdfundings zurückgegriffen: Musical-Fans spenden im Vorfeld und finanzieren dadurch die anfallenden Vorarbeiten. Freie Musicals stehen dann noch vor der Aufgabe, einen Spielort zu finden, an dem sie ihr Stück aufführen können.

Funktioniert der Stoff überhaupt? Die Tryouts

Autor und Komponist können noch so sehr von ihrer Idee überzeugt sein – das Publikum ist nicht immer der gleichen Meinung. Bevor ein professionelles Musical daher auf die Bühne kommt, probieren Musical-Macher aus, ob der Stoff bei den Zuschauern überhaupt ankommt. Readings und Tryouts finden daher in einer noch sehr frühen Produktionsphase statt, meist noch bevor die Proben mit dem eigentlichen Cast begonnen haben. Die Reaktion des Publikums geben Regisseur und Produzenten wichtige Hinweise darauf, welche Elemente einer Show funktionieren und welche weniger positive Reaktionen hervorrufen. In dieser frühen Produktionsphase können Szenen noch verändert, Witze umgeschrieben und Songs ausgetauscht werden. Je positiver das Publikum ein Musical aufnimmt, umso größer sind natürlich die Chancen auf einen späteren Erfolg. Tryouts können auch noch einmal mit der bestehenden Besetzung durchgeführt werden, um zu testen, wie gut diese von den Zuschauern angenommen wird.

Warum sind Tryouts wichtig beim Entstehen eines Musicals?

Jede kreative Arbeit beinhaltet immer das Risiko des Scheiterns. Bei einer Musicalproduktion, die nach der Fertigstellung scheitert, bedeutet das stets einen großen Verlust für das Unternehmen und kann Menschen im Unternehmen die Jobs kosten. Für Darsteller*innen kann das Mitwirken an einem Flop bewirken, dass sie in einem nächsten Musical eine Rolle nicht bekommen. Um dieses Risiko so gering wie möglich zu halten, sind die Tryouts so wertvoll. Der vorherige kreative Austausch verhindert bereits, dass sich einer der Beteiligten zu sehr in eine Richtung verrennt, die vielleicht beim Publikum nicht gut ankommt. Aber das Tryout ist der erste Kontakt des Stoffes mit Menschen, die an seiner Entstehung nicht beteiligt sind. Bei frühen Tryouts liegt der Fokus auf der Stoffentwicklung.

  • Funktioniert das Tempo oder gibt es Längen?
  • Wie wirken die Charaktere?
  • Überzeugen die Motive der Charaktere?
  • Reißen die Geschichten die Zuschauer mit?
  • Bringen die Lieder die Emotionen rüber?

Bei größeren Produktionen gibt es zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich gewichtete Tryouts. Je nach Produktionsstand lassen sich manche Rückmeldungen nicht mehr ohne große Kosten umsetzen, so dass hier Kosten-Nutzen abgewogen werden. Damit ein Erfolgsmusical entsteht, müssen viele Punkte zusammenkommen. Bei aller kreativen Arbeit ist am Ende immer ein bisschen Glück und die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für ein Thema und seine konkrete Umsetzung dabei.

Vom Casting bis zu den Proben

Musicals sind Teamarbeit: Neben dem Komponisten und dem Autor braucht es jemanden, der sich um die Choreografien kümmert, einen Regisseur, künstlerische und musikalische Leiter, Dramaturgen, Bühnenbildner und Kostümbildner, Beleuchter und viele mehr. Und natürlich die Darsteller. Um geeignete Darsteller zu finden, wird ein Casting durchgeführt. Musical-Darsteller stellen sich vor, singen, tanzen, spielen – und müssen allgemein unter Beweis stellen, dass sie für die gewünschte Rolle geeignet sind. Ist die Besetzung gefunden, geht es an die Proben. Bei der Uraufführung eines Musicals haben die Darsteller meist noch die Möglichkeit, zusammen mit dem Regisseur, dem Choreografen und den Autoren ihre Rolle zu erarbeiten und zu prägen.

Hinter den Kulissen

Auf der Bühne sind die Musical-Darsteller die Stars. Ein Musical wäre aber wohl nur halb so schön, wenn nicht auch das Bühnenbild und die Kostüme perfekt zur Geschichte passen würden. Daher wird vor der Aufführung fleißig an den Kulissen gebastelt, Kostüme werden genäht, Perücken erstellt, Masken kreiert. Darüber hinaus braucht jede Show auch ihr ganz eigenes Beleuchtungskonzept, das die richtige Stimmung beim Publikum erzeugt. Nicht zuletzt muss das Orchester proben, damit alle Songs auch mit dem perfekten Sound umgesetzt werden. Nach einigen Wochen oder Monaten der Probenzeit kommt dann schließlich das fertige Musical auf die Bühne.

Autor: S. Gerdesmeier