Falsett
Als Falsett wird die männliche Kopfstimme bezeichnet. Sie ist in etwa mit der weiblichen Sopran- oder Altstimme zu vergleichen. Falsett kommt vom Italienischen „falso“, was so viel wie „falsch, künstlich, imitiert“ bedeutet. Dieser Name zeigt bereits, dass die Falsett-Stimme lange abgewertet wurde – es war das Singen mit der falschen Stimme. Auf der Opernbühne hat spätestens mit den sogenannten erfolgreichen Countertenören wie beispielsweise Andreas Scholl oder David Daniels ein Umdenken stattgefunden. Diese falsettierenden Sänger zeigen die Optionen des Falsetts und welche Bereicherung diese Tonlage für den Männergesang sein kann.
Bis heute kommt Falsett-Gesang in unterschiedlichen Musikrichtungen vor und es gibt sogar Untersuchungen, die zeigen, dass Hits mit Falsett-Gesang besonders erfolgreich werden. Warum das so ist, hierzu hat eine Musikpsychologin zwei unterschiedliche Theorien. Aber zunächst: Was macht den Falsett-Gesang aus?
Merkmale des Falsetts
Die Falsettstimme ist um eine Oktave höher als die männliche Tenorstimme, die häufig als „voce naturale“ tituliert wird. Heute wird die „Normalstimme“ in Fachkreisen als Bruststimme oder Modalstimme bezeichnet. „Normalstimme“ ist ein schwieriger Begriff, da es je nach Ausbildungsstand einer Stimme enorme Unterschiede in diesem Bereich gibt. Während jeder Säugling vier Oktaven Stimmumfang hat und diese fröhlich mit Schreien, Brabbeln, Lachen und anderen Experimenten trainiert, verlieren die meisten während des Aufwachsens deutlich an Stimmumfang. Die artikulierte Sprache ist nicht dafür geeignet den Stimmumfang zu erhalten. Alle emotionalen lautlichen Äußerungen trainieren im Grunde die Stimme und schenken ihr Tiefe und Umfang. Das Falsett ist hierbei die höchste mögliche Stimme des Sängers und in einem vollen Klang bei Erwachsenen nur mit Training zu erreichen.
Bei der Falsettstimme schwingen die Stimmbänder aber nicht vollständig, sondern nur an ihren Rändern. Das Ergebnis ist bei einer ausgebildeten Falsettstimme ein weicher, grundtöniger Klang. Im engeren musikalischen Sinne schließt der Begriff auch die Verstärkung dieser Randschwingung durch eine Beimischung der Brust- und Kopfstimme ein. Mit dieser Technik können zum Beispiel Countertenöre dynamisch zwischen sehr hohen und tieferen Stimmlagen wechseln. Bei einer ungeübten Stimme ertönt im höchsten Bereich der Stimme ein eher gehauchter und schwacher, oft unangenehm hoher Ton. Die nicht ausgebildete Falsettstimme klingt bei einem Mann nach einer Imitation der weiblichen Stimme und wird umgangssprachlich als Fistelstimme bezeichnet. Durch eine Ausbildung der Stimme gewinnt das Falsett an Tiefe und Tragfähigkeit.
Falsettstimme – Was geschieht im Körper?
Die Stimmlippen sind dünn und die Vibrationsamplitude geringer als in der Modalstimme. Ausschließlich die Schleimhaut-Ränder (Randkanten) der Stimmlippen werden in Schwingung versetzt. Daher wird die Falsettstimme teilweise auch als Randstimme bezeichnet. Die Öffnungsphase der Stimmlippen ist länger als die Schließphase. Gerade bei behauchter Phonation ist der Stimmlippenschluss nur noch unvollständig. Ein trainierter Falsettsänger kann durch die Stellung der Stellknorpel die Stimmlippen derart verschließen, dass nur noch 2/3 der Stimmlippen beziehungsweise deren Randkanten schwingen. Der Stimmmuskel wird beim Falsett nicht benutzt. Er ist entspannt und nicht am Erzeugen des Tons beteiligt.
Da der Stimmmuskel entspannt ist, lassen sich die Stimmlippen länger dehnen. Aus dem Grund lässt sich im Falsett höher als mit dünner Stimmlippe singen. Sobald man den Stimmbandmuskel anspannt, verkürzt die Spannung die Saite und der Klang gerät weniger hoch.
Geschichte der Falsettstimme
Die Gesangstechnik des Falsetts gelangte im 9. Jahrhundert von Persien nach Europa. Zunächst hielt sie Einzug in die andalusische Musik in Cordoba, von dort aus verbreitete sie sich durch Troubadoure über den Kontinent. Spanische Falsettisten traten sogar im Vatikan auf.
Die Falsettstimme erlangte vor allem im Barock Berühmtheit. Im Vatikan sowie in einigen Kirchen übernahmen Männer die weiblichen Gesangsparts, da es Frauen geboten war, in Gotteshäusern zu schweigen. Mit der Falsetttechnik erreichten die männlichen Sänger die hohen weiblichen Stimmlagen. Im späteren Barock war es üblich, diese Parts Knaben oder Kastraten zu überlassen.
In der nachbarocken Oper wurde die Falsettstimme eher vernachlässigt und überwiegend nur noch eingesetzt, um einen komischen Effekt zu erzielen. Als im 20. Jahrhundert die Barockoper wiederentdeckt wurde, begannen auch wieder vermehrt Komponisten, Rollen in Falsettstimmlage einzubauen. Diese Parts werden heute von Countertenören gesungen.
Das Falsett in der modernen Pop-Musik
Das Falsett ist auch eine beliebte Stimmlage in der modernen Pop-Musik. Die Songs der Beach Boys liefern einige der bekanntesten Beispiele für den modernen Falsett-Gesang. Während der Disco-Ära erlangten die Bee Gees durch ihren hohen Falsett-Gesang an Berühmtheit. Auch einige Heavy Metal-Bands setzen die Falsettstimme ein, so zum Beispiel Judas Priest mit dem Sänger Rob Halford. Andere Sänger setzen die Falsettstimme nur gelegentlich ein, um Songs mit extremen Höhen und Tiefen intonieren zu können. Dazu gehörte zum Beispiel auch Freddy Mercury, eigentlich Bariton, der aber auch mehrere Lieder im Falsett sang.
Falsett als Zeichen von Stärke und Sensitivität?
Immer wieder bringt die Pop-Musik Falsett-Hits hervor. Bei einem Vergleich der Chartplatzierungen von Songs im Falsett und Songs ohne hohen Gesang fällt laut Experten auf, dass die Hits im Falsett meist höhere Plätze in den Charts einnehmen und sich dort länger halten. Die Musikpsychologin und Professorin am Berklee College of Music Susan Rogers nennt hierfür zwei mögliche Gründe: Der kraftvolle Einsatz der Kopfstimme werde unterbewusst als Zeichen von Stärke beim Mann gewertet. Diese Überlegenheit wirke attraktiv. Ebenso zeige ein Mann im Falsett-Gesang seine feminine Seite und könne hierdurch attraktiv wirken. Gerade auf jüngere Mädchen wirken die sanfteren Männer gut.
Falsett als Sprechstimme
Von männlichen Schauspielern wird das Falsett auch als Sprechstimme verwendet, wenn sie beispielsweise weibliche Rollen darstellen. Meist soll dadurch ein komischer Effekt erzielt werden. Bekannte Beispiele sind Filme wie “Manche mögen's heiß” und die Musical-Adaption SUGAR, “Mrs. Doubtfire – Das stachelige Kindermädchen” oder “Big Mama's House”.
Falsett bei Blechblasinstrumenten
Als Falsett wird weiterhin das Hervorbringen der höchsten und tiefsten Töne bei Blechblasinstrumenten bezeichnet. Diese sogenannten “falschen Töne” lassen sich nur mit großer Anstrengung erzwingen.
Vier Formen des Falsetts
Vier unterschiedliche Formen des Falsetts lassen sich voneinander unterscheiden:
- Flüsterfalsett
- Popfalsett
- Klassischfalsett
- Rockfalsett
Flüsterfalsett
Das Flüsterfalsett wird teils mit offenen Stimmlippen gesungen, so dass ein leiser und gehauchter Ton entsteht. Der entstehende Klang wirkt bei ausgebildeten Sängern intim. Diese Technik wird häufig in Popmusik und auch im Musical eingesetzt. S
Popfalsett
Bei dieser Gesangstechnik schließen die Stimmlippen vollständig und es entsteht ein heller Klang. Da immer mehr Popmusiker an der Produktion von Musicals beteiligt sind, entwickelt sich das Popfalsett zu einer wichtigen Technik in der Musicalwelt.
Klassischfalsett
Das ist die Technik eines Countertenors aus der Oper. Der Kehlkopf ist leicht gesenkt und das Heben des Gaumens zieht die Vokale nach hinten. Diese Technik vergrößert den Resonanzkörper und schenkt der Stimme einen warmen und dunklen Klang. Durch eine Verschärfung kommt es zu einem größeren Über- und Unterdruck, was den Klang lauter werden lässt.
Rockfalsett
Beim Hard-Rock mag es erst einmal überraschen, aber hier nimmt Falsettgesang bereits lange eine wichtige Rolle ein. Bei hohen und lauten Tönen arbeiten die Sänger mit einer großen Verstärkung im Falsett. Durch das Lange Halten der Töne erhalten sie einen kräftigen Klang.
Gesangstechnik für höhere Töne und mehr Gefühl
Falsett wird dementsprechend seit dem Barock und bis heute in den unterschiedlichen Musikrichtungen eingesetzt. Auch im Musical hat es eine wichtige Rolle. Gerade in gefühlsstarken Szenen wird Falsett-Gesang eingesetzt und begeistert das Publikum. Vielleicht erkennen Sie es auch in der nächsten Aufführung in die Sie gehen?
Farinelli – Der bekannteste Falsett-Sänger
Geboren 1705 im niederen Adel Italiens erlangte Carlo Maria Michelangelo Nicola Broschi als Sänger Farinelli große Berühmtheit und galt vielen seiner Zeitgenossen als größter Sänger. Farinelli hatte zwei ältere Geschwister – sein älterer Bruder Riccardo erlangte Bekanntheit als Komponist. Zum Erhalt von Carlos Singstimme wurde er 1714 mindestens mit dem Einverständnis, wenn nicht sogar auf Wunsch seines Vaters kastriert. Anschließend reiste er nach Neapel und erhielt dort eine Gesangsausbildung. Als Privatschüler des Komponisten Nicola Porpora lernte er eine besondere Atem- und Gesangstechnik, die sein Werk auszeichnen würde.
Der Wettstreit mit einem Trompeter
1720 hatte er mit 15 Jahren seinen ersten Auftritt in einer Privataufführung des Fürsten von Torella in Neapel. Hier entwickelte sich auch Farinellis lebenslange Freundschaft mit dem Librettisten Pietro Metastasio. Seine ersten Jahre auf der Opernbühne spielten sich hauptsächlich in Rom und Neapel ab und waren Frauenrollen. Aus dem Verbot von Frauen auf der Bühne in den päpstlichen Staaten entwickelte sich die Tradition von Männern in Frauenrollen. Bereits früh machte Farinelli auf sich aufmerksam. Seine Atemtechnik erlaubte ihm beispielsweise den Sieg in einem Wettstreit mit einem Trompeter davonzutragen. Farinelli konnte die Töne länger Halten als dieser und erfolgreicher „Trillern“. Dieser öffentliche Wettkampf in Rom schenkte ihm unter dem Beinamen „il ragazzo“ erste Bekanntheit.
In einer häufig in Zeitzeugnissen erwähnten Inszenierung tauschte er mit der bekannten Sängerin Vittoria Tesi die Geschlechterrollen im Stück „Marc’Antonia e Cleopatra“ in Neapel 1725. Farinelli trat als Cleopatra auf und Tesi als Marc’Antonio. Das Barocktheater war primär auf Schönheit und nicht auf Realismus ausgelegt. Das Tauschen der Geschlechterrollen war hier nichts Ungewöhnliches.
Nachdem er auf vielen Bühnen Italiens mit großem Erfolg aufgetreten war, trat er 1728 das erste Mal in einer Oper seines Bruders auf, der später für seine Stimme die Oper „Idaspe“ schrieb, in der Farinelli seinen gewaltigen Stimmumfang zur Schau stellen konnte.
Beginn seiner Reisen
Schließlich folgte Farinelli einer Einladung der Kaiserfamilie an den Wiener Hof, wo er den Titel des kaiserlichen Hof- und Kammer Musicus erhielt. Neben vielen Geschenken brachte ihm das eine jährliche Rente von 1.000 Gulden ein. Eine Kritik des Kaiser Karls VI. bewegte Farinelli dazu, die Arbeit an seiner Stimme zu verändern. Der Kaiser sagte ihm, dass das Übernatürliche seiner Stimme verhindern würde, dass er hiermit die Herzen einnehmen würde. Die Menschen würden staunen, aber nicht im Herzen ergriffen sein. Farinelli berücksichtigte diesen Rat und kehrte nach Italien zurück.
Bitten seiner Freunde ließen ihn aufbrechen, um den Einfluss der italienischen Oper in England zu stärken. Allerdings waren die Engländer zwar vom besonderen Gesang Farinellis berührt und konnten sich dennoch mit der italienischen Oper nicht anfreunden. Nach einiger Kritik reiste Farinelli über Frankreich nach Spanien.
Farinelli am spanischen Hof
Seine Zeit in Spanien sollte ursprünglich nur ein mehrmonatiger Aufenthalt sein und entwickelte sich schließlich zu einem Aufenthalt von beinahe 25 Jahre. Die Königin Elisabetta Farnese nutzte seine Stimme, um die Depressionen von Philipp V. zu heilen. Die neun Jahre bis zu dessen Tod 1746 sollte Farinelli jeden Abend für ihn singen, wie Farinelli in eigenen Briefen schrieb. Gesungen werden mussten stets die gleichen vier Arien. Doch durch diese täglichen Arien gewann Farinelli Einfluss und erhielt vom König die Macht eines Premierministers – jedoch ohne das tatsächliche Amt. Farinelli nutzte diese Macht jedoch nur sehr diskret, was zum einen an seiner persönlichen Bescheidenheit und zum anderen an seinem politischen Desinteresse liegen konnte.
Unter Ferdinand VI. wurde er von der Königin Maria Barbara de Bragança zum Leiter der Oper ernannt. Diese Position nutzte Farinelli, um die wichtigsten Sänger aus Italien nach Madrid einzuladen. 1750 erhielt er das Kreuz von Calatrava als Auszeichnung für seine besondere Arbeit. Als schließlich jedoch 1750 Karl III. von Spanien den Thron bestieg, endete diese Phase in Farinellis Leben. Der neue Herrscher von Spanien hatte kein Interesse an Musik und eine starke Abneigung gegen Farinelli. Zudem verordnete er seinem Hof einen Sparkurs und kürzte vor allem im Bereich der Künste. Seine lebenslange Rente erhielt Farinelli trotz dessen.
Ruhestand in Bologna
In Bologna setzte er sich schließlich zur Ruhe und öffnete sein Haus für Familie, Freunde und Künstler. 1782 erkrankte er an einem Fieber, an dem er verstarb. Seine Stimme blieb Zeitgenossen als besonders und von einer übernatürlichen Schönheit im Gedächtnis. Mit dem größten Tempo und ohne ersichtliche Mühe konnte er offensichtlich zwischen den Tonlagen wechseln. Seine besondere Atemtechnik soll ihm diese stimmliche Vielfalt ermöglicht oder zumindest erleichtert haben. Das lange Halten der Töne, der große Stimmumfang und die schöne Stimme – all das hält den Mythos des berühmtesten Kastratensängers bis heute lebendig.
Film Farinelli
Die schwierige Faszination mit all ihren moralischen Widersprüchen wird im Film Farinelli, der nur lose auf der tatsächlichen Biografie der historischen Figur Farinelli beruht, beleuchtet. Um das Stimmvolumen des tatsächlichen Farinellis zu realisieren, wurden für den Soundtrack die Stimmen des Countertenors Derek Lee Ragin mit der Sopranistin Ewa Malas-Godlewska elektronisch zusammengefügt. Der Film wirft aber auch die wichtige Frage auf, wie sehr wir dazu bereit sind, unsere Menschlichkeit für die Kunst zu opfern.